FREIES MUSEUM BERLIN

MEETING HAVANA CULTURA: CHAPTER I // GULLIVER

EXHIBITION: 7. DEZEMBER - 25. JANUAR 2013

Am Anfang war Havana Cultura, ein vom kubanisch-französischen Unternehmen Havana Club Internacional angeregtes Projekt um junge Kreativität auf Kuba zu fördern und der zeitgenössischen kubanischen Kunst eine zusätzliche Werbeplattform innerhalb und außerhalb der Insel zu verleihen. So gelangte die deutsche Kuratorin Marianne Wagner, Direktorin des Freien Museums Berlin, nach Havanna und wir führten gemeinsam lange Gesprächstreffen mit den am Austauschprojekt beteiligten Künstlern und Künstlerinnen und anderen im Panorama der Bildenden Künste der Insel relevanten Kunstschaffenden durch.

 Schließlich legte Marianne uns die Möglichkeit nahe, einmal selbst nach Berlin zu kommen, um den Puls seines Kulturlebens zu spüren und um direkt vor Ort wahrzunehmen, was hier im Bereich der Kunst passierte. Dann galt es auch schon unverzüglich die Reise zu konkretisieren, sie durchführbar zu machen und auch darüber nachzudenken, sie aus künstlerischer Sicht effektiv und für ein Wachstum fruchtbar zu machen. Daher die Idee zu einer Ausstellung zeitgenössischer kubanischer Kunst, was erst einmal groß klang, sich aber auf Werke kleineren Formats ausrichten ließ, die keine größeren Schwierigkeiten beim Transport und der Montage bedeuteten.

Etwas bescheideneres – ohne den für uns sonst so üblichen Chauvinismus – allein um unsere kuratorische Erfahrung mit den Kollegen und Kolleginnen des Freien Museums zu teilen, die dank der Flexibilität, die sie sich in ihrer Arbeit erhalten haben, und trotzdem sie gerade in einem Umzugsprozess steckten, uns diesen Raum zur Verfügung stellten.

Aber mit dieser formellen wie praktischen Lösung zur Durchführung des Projekts hätten wir uns noch nicht zufrieden gegeben, denn es musste erst noch etwas gefunden werden, was inhaltlich das deutsche Publikum miteinbezog.

Die Werke an sich hätten dies aus ihrer Autonomie heraus vielleicht selbst getan, aber es galt ja auch irgendeine kuratorische Verantwortung zu übernehmen. So stießen wir dann auf das Konzept der Inselverzwergung, das – reich dokumentiert – aus dem Bereich der Biowissenschaften kommt und mit dem Größenverlust zu tun hat, dem (tierische wie pflanzliche) Arten in ihrem Anpassungsprozess an neue Umweltbedingungen unterliegen, wenn sie von den großen kontinentalen Landmassen auf die Inseln emigrieren.

 Wir kommen von einer Insel, die nicht klein ist, aber auch nicht groß. Dort haben wir eine auf natürlichen Rohstoffen basierende Realwirtschaft. Wir sind physisch isoliert und waren es auch politisch und wirtschaftlich über lange Strecken unserer Geschichte. Unsere Geschichte selbst ist allerdings kurz. Aufgrund oder gerade trotz unserer Isolierung und unserer Zugehörigkeit zu den Tropen, haben wir einen hohen Grad an Vorkommen, die es nur auf unserer Insel gibt, eine hohe Artenvielfalt und ein starkes Ineinanderwirken sozialer und kultureller Elemente. Wir haben klitzekleine Frösche, Kolibris und winzige Orchideen. Warum also nicht eine Kunstaustellung der Kleinstformate nach Berlin bringen? Eine Werkschau mit einer gewissen Sparsamkeit an Materialien, nicht jedoch an Ideen, welche der Repräsentativität Vorrang gewährt, der Diversität von Trägern und Inhalten, welche sehr junge Künstler mit Künstlern zusammenbringt, deren Arbeiten schon bekannt sind und die sich bereits seit den 90er Jahren entwickelt haben. Alles schien sich perfekt zu begründen.

 Dann stießen wir auf ein weiteres Konzept, das des Inselgigantismus. Obwohl es mit der Logik unseres Gedankenfadens brach, begeisterte es uns, a priori, denn seine Erklärung lag nicht so auf der Hand und es stellte sich sogar als poetisch heraus, dass das Große sich klein gemacht hätte und das Kleine groß.

In diesem Fall begannen viele kleine Arten von den Kontinenten (Insekten, Reptilien, Nagetiere) auf den Inseln zu wachsen, da sie hier weniger natürliche Feinde und weniger Konkurrenten um Lebensraum und Nahrungsquellen hatten.

 Auf den zweiten Blick gefiel es uns auch deshalb so sehr, weil es die Möglichkeit eröffnete Ausstellungsstücke mittleren Formats in die Auswahl aufzunehmen, was uns seitens der Künstler_innen schon vorgeschlagen worden war, aber vor allem weil es uns die Möglichkeit gab, aktuelle künstlerische Praktiken Kubas auf höheren Komplexitätsebenen zu reflektieren.

Weder die kubanische Geschichte, noch die Herausbildung und Festigung seiner Identität als Nation, noch die Zusammensetzung seiner Kultur, weder die Natur des Kubaners, noch die zeitgenössische Kunst, die auf der Insel gemacht wird, lassen sich allein aus den Bedingungsfaktoren unserer insulären Kleinheit erklären.

 Die koloniale und neokoloniale Vorsehung und später der eigenstaatliche Wille der Kubaner, verbunden mit den vom Kalten Krieg verursachten Spannungen, wollten es, dass die Insel und ihre Einwohner weltweit bekannt wurden und von Zeit zu Zeit sogar in Ereignisse von internationaler Tragweite verwickelt waren: die „Entdeckung“ der neuen Welt, die Eroberung und Kolonisierung Amerikas, die Massenverschleppung und -ausbeutung einiger afrikanischer Völker, der erste imperialistische Krieg (Spanien und die Vereinigten Staaten), die erste sozialistische Revolution in Amerika, die so genannte Kubakrise oder Raketenkrise im Oktober 1962, verschiedene Kriege in Afrika, vor allem Angola, um nur einige Beispiele zu nennen.

Deswegen vielleicht, und weil wir aus der Fusion von Kontinentalvölkern, -religionen und -kulturen geboren wurden, sind Kubaner keine typischen Insulaner, und halten sich auch nicht für klein.

 Abgesehen von den Variablen, die sich auf das beziehen könnten, was uns klein macht und was uns groß macht, ließe sich gerade aus diesem Raum der gewissen Widersprüchlichkeit heraus, des bestimmten Kontrapunkts der sich zwischen diesen beiden wissenschaftlichen Konzepten entwickelt, am besten einige der wichtigsten Charakteristika identifizieren, die die kubanischen Bildenden Künste heute ausmachen.

 Ich habe nochmal in dem Katalog nachgesehen, der damals aus Anlass der Ausstellung Cuba OK, 1990 von den Kuratoren Jürgen Harten und Antonio Eligio Tonel für die Kunsthalle Düsseldorf organisiert, zusammengestellt wurde. Dies war fast eine obligatorische Referenz, denn vielleicht handelt es sich dabei um die bedeutendste Kollektivausstellung, die es in den letzten 20 Jahren zu kubanischer Kunst in Deutschland gegeben hat. Ich fand dazu sehr erhellende Texte von Harten selbst und von den großen kubanischen Kuratoren und Kunstkritikern Gerardo Mosquera und Osvaldo Sánchez.

 Zusammenfassend waren sich alle darin einig hervorzuheben, dass sich das Panorama der kubanischen Kunst zu diesem Zeitpunkt durch eine starke experimentelle Vitalität auszeichnete. Diese stellte einen Bruch mit der künstlerischen Produktion der 70er Jahre dar, indem sie die Haltung des Künstlers über den Stil privilegierte, das Populär-Lokale mit dem Hochkulturellen zusammenführte, das Groteske, Sexuelle, den Kitsch, die Religiosität und die Abergläubigkeit als Referenzen hinzuzog und die Stilmittel des Pop, des Konzeptualismus und ihrer post-Bildungen aktivierte, was dann am Ende alles zusammen in einen identitätsstiftenden Postmodernismus mündete: kritisch, ethisch und auf organische Weise kubanisch.

 Die Texte wiesen mit großem Nachdruck auf das soziale Engagement der Künstler zu diesem Zeitpunkt hin, die Suche danach, den Widersprüchen und Problemen der Gesellschaft im öffentlichen Leben zu begegnen, um die „Utopie der Revolution in diesen neuen Zeiten zu beleben“. Sie erkannten auch, dass diese gesamte Bewegung das Ergebnis einer breitangelegten und kontinuierlichen Ausbildung der jungen Künstler in einem ausgedehnten Kunsterziehungssystem und einer Kulturpolitik der Revolution war, die Randbereiche der freien Entfaltung zuließ, welche von den Künstlern auch genutzt wurden, allerdings nicht ohne einige starke Zusammenstöße.

Sie bemerkten ebenfalls, dass die Formsprachen und Arbeitsmethoden dieser Bewegung zunehmend enger mit internationalen Tendenzen verbunden waren, jedoch eine starke Verbindung zum Lokalen aufrechterhielten. Sie wiesen bereits auf die Möglichkeit hin, der Markt könne einen schädlichen Einfluss auf die Kreativität haben, und dass man beginne, eine Exportkunst zu produzieren.

 Viel wurde auch später darüber geschrieben, was in den 90er Jahren in Kuba vor sich ging und einige der Debatten begannen sich im ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts zu systematisieren. In der Berücksichtigung all dieser Einschätzungen und im Versuch einen lockeren Vergleich dazu herzustellen, was im Umfeld von Cuba OK geschah, könnte man, glaube ich, einige interessante Gedanken formulieren, die den Zusammenhang illustrieren und erklären, in dem diese Ausstellung realisiert wurde.

 Kuba ist momentan in ein Zusammenspiel von Veränderungen vertieft, die auf eine Aktualisierung seines sozialistischen Modells abzielen. Von diesen Veränderungen sind einige von großem praktischen und symbolischen Belang, für die Mehrheit der Kubaner kommen sie aber unzureichend, zu langsam oder sogar zu konfus. Während vor 20 Jahren die Mehrheit der Bevölkerung vielleicht eine Rektifizierung der Fehler und negativen Tendenzen befürwortete, um den Sozialismus weiter zu vertiefen, erscheint heute die Mehrheit angesichts dieser Möglichkeit äußerst skeptisch und es ließe sich eine gewisse Apathie, ein Warten oder eine simulierte Beteiligung an diesem Prozess feststellen.

 Man könnte sagen, die Künstler sind immer noch Teil des kritischen Bewusstseins der heutigen kubanischen Gesellschaft, aber ihre Einstellung gegenüber den tiefen Widersprüchen des Landes ist weniger enthusiastisch als zu anderen Zeiten.

Ihre Arbeiten registrieren, dokumentieren und befragen die Wirklichkeit jetzt mit einer bestimmten Dosis an Zynismus und Passivität. Selbst die Gewagtesten bewegen sich noch in den Grenzen – niemals völlig klar und deutlich, aber erkennbar –, die das System errichtet.

 Bestimmte, ihnen “zugestandene” Privilegien, wie die selbstständige Vermarktung ihrer Werke – und in diesem Sinne sogar die Zusammenarbeit mit ausländischen Institutionen – und die ständige Bewegung ins Ausland, ohne eine Rückkehrbeschränkung nach Kuba, könnten ihren strittigen Geist ins Mittelmäßige abgeschwächt haben.

Trotzdem müsste man auch einen Reifeprozess ihrer Sprachen und Strategien im Dialog mit dem Kunstbetrieb anerkennen, das legitime Interesse andere einheimische und fremde Themengebiete zu erkunden und eine gesunde Distanz zum politischen Pamphlet zu entwickeln.

Die evokationsreichsten Reflexionen in dieser Richtung könnten zum jetzigen Zeitpunkt in einigen individuellen und kollektiven Projekten verortet werden, die ihre Aufmerksamkeit auf die unmittelbare Zukunft des Landes richten.

 Diese Arbeiten verdrängen den durch die Emigration ausgelösten und anhaltenden Schmerz nicht, setzen aber den Akzent auf eine Wiedererschaffung der Begegnung zwischen den Weggegangenen und den auf der Insel Gebliebenen; auf die Möglichkeit der Neu- und Wiederherstellung der affektiven, kulturellen, ökonomischen und sogar politischen Bande.

Sie ignorieren weder die Marginalität, die Hässlichkeit, die Vulgarität noch die unterschwellige Aggressivität vieler Viertel Kubas, versuchen diesen gegenüber aber eine symbolische, freiherzige Stadt zu konstruieren, in der Vielfalt, Solidarität und ein gewisses Gleichgewicht zwischen dem Ästhetischen, dem Funktionalen und dem Ökologischen überwiegen. Sie vergessen auch nicht die Wunden, welche Rassendiskriminierung, Geschlechterbenachteiligung- und sexuelle oder anderweitige Bevorteilung hinterlassen, sondern setzten ihren Schwerpunkt darauf, die Schönheit zu zeigen, die aus all dieser Andersheit entspringt, sie zu zeigen wie sie sind.

Sie unterschätzen die historischen Ausblendungen und Manipulationen nicht, beschäftigen sich mit der Bekanntmachung dieser Leerstellen, damit sie zu füllen, zu relativieren, und dem Substanz zu verleihen, was vor lauter politischer Rhetorik inhaltsleer geworden ist. Mit dem Imaginieren dieser Zukunft, ihrer Vorwegnahme und der öffentlichen Teilhabe an ihr sind sie ganz sicher dabei einen Ort mit größeren Spielräumen der Freiheit zu erschaffen, und das will schon viel heißen.

 Trotz allem besteht die größte Herausforderung der zeitgenössischen Kunst im heutigen Kuba gerade nicht in ihrer vorhandenen oder nicht vorhandenen gesellschaftlichen Verpflichtung, sondern in den internationalen Praktiken, die globale Kreisläufe privilegieren (Kunstmessen, Biennalen, Auktionen), die mit der Banalisierung der Kunst zu tun haben und ihrer Umwandlung in eine weitere Ware.

Auf diesem Wege begegnet man vielen sehr jungen Künstlern und auch einigen ausgereiften, deren Sorgen und Obsessionen völlig außerhalb des Künstlerischen liegen, und die zunehmend mit der Spektakularität und der Kosmetik ihrer Werke beschäftigt sind, ohne den Gebrauch und die Komplexität bestimmter Materialien oder Träger vom Formellen geschweige denn vom Konzeptuellen her rechtfertigen zu können.

 Vielleicht liegt es am brutalen Materialmangel durch den die Kunstproduktion der 90er so markant geprägt war, und der auch noch bis ins erste Jahrzehnt des aktuellen Jahrhunderts reichte, der, obwohl er in vielen Fällen als Stimulus der Kreativität wirkte, diese Lust am Großen Produzieren ausgelöst hat, auf „elaborierte“ Weise zu schaffen und Muster der ersten Welt zu imitieren.

Der Postkonzeptualismus in Kuba ist, zumindest im Großteil seiner Vorschläge, zu einem konzeptuellen Witz geworden und das hat wahrscheinlich mit einer Kombination aus zwei Angelegenheiten zu tun, einer für das Bildungswesen und einer für den Markt charakteristischen.

Seit den 80er Jahren wurde der Konzeptualismus, ohne sich abträglich auf andere –Ismen auszuwirken oder als ihr Komplement fungierend, am Instituto Superior de Arte (ISA), der Kunsthochschule Havannas, zur Mode und prägte dementsprechend mehrere Generationen kubanischer Künstler, die in der Mehrzahl an dieser Institution ausgebildet wurden. Allerdings ist es im kubanischen Erziehungssystem zu einem allgemeinen Qualitätsverfall gekommen, welche die kulturelle Allgemeinbildung der Studenten gefährdet und auch die Kunsthochschule nicht verschont hat.

 Der Versuch Ideen zu entwickeln, die die konzeptuellen Voraussetzungen einer Arbeit stützen, kann sich als sehr heikel herausstellen, wenn das theoretische Werkzeug, auf das man zurückgreifen kann, unvollständig ist und die Basis des Know-hows nicht auf einem Forschungsprozess, auf Reflexion und wirklichem Vergnügen aufbaut.

Hinzu kommt noch, dass es ein bestimmtes Sammlertum gibt, das die Insel ohne große wählerische Skrupel heimsucht, und den Witz über alltägliche Begebenheiten oder internationale Stereotype den ästhetisch interessantes Vorschlägen oder Werken vorzieht, deren Verständnis und Genuss komplexere Lektüreebenen erfordern.

 Vielleicht als Reaktion auf diese “konzeptuelle” Tendenz, kam es vor einigen Jahren zu einer Rückkehr zur Vorliebe für und zum Experimentieren mit der Malerei, oftmals über ikonographische Einverleibungen wie des japanischen Manga, der europäischen Landschaftsmalerei, dem Wiederaufguss der Popart und den Neo-Realismen und Neo-Expressionismen, die sich gerade in der ganzen Welt tummeln.

Ihrerseits haben auch die Neuen Medien ihren großen Auftritt gehabt, trotz der begrenzten Infrastruktur, die Kuba in diesem Sinne aufweist, aber neuerdings ist man auch zu einem besseren Verständnis der Arbeit mit diesen Medien gelangt und benutzt sie nicht nur als Ausdrucksmedium, sondern als Sprache an sich. Andere Topiken, wie die des Kitschs, des religiösen und anderer Synkretismen, das Verhältnis zwischen Kulturiertem und Populären und die des Humors als traditionellem Werkzeug der Analyse und Annäherung an die Wirklichkeit haben sich als Konstanten der kubanischen Bildenden Kunst gehalten.

 In den Kunstpraktiken des aktuellen Kubas findet sich viel von der Kunst der 80er Jahre wieder, und obwohl diese Etappe in der Tat sehr inspirierend war, wird ihr mit immer weniger Nostalgie begegnet. Brüche haben gewöhnlich etwas Attraktives, weil sie erahnen lassen, dass etwas passiert; aber vielleicht benötigte die zeitgenössische kubanische Kunst genau wie die aktuelle kubanische Gesellschaft eher eine ruhige Systematisierung der gelebten Erfahrungen als große Erschütterungen.

Der Begriff der “akkumulativen Erneuerung” und seine Definition, wie sie vom kubanischen Kritiker und Künstler Antonio E. Tonel vorgeschlagen wurden, verleihen diesem allmählichen Wachstums- und Bewegungsprozess sehr deutlich Ausdruck:

„(…) Die Künstlerbewegung in Kuba hat die jüngsten Episoden an Schwierigkeiten, Nöten und Mängeln bewältigt und alles ihr Mögliche versucht sich zu erholen, während sie sich gleichzeitig in etwas anderes verwandelte. Unter den Merkmalen, die diese Umwandlung illustrieren, fällt die neue Präferenz für graduelle Veränderungen auf, als ob an Stelle von niederreißenden Gesten und Impulsen (die es durchaus auch gibt) heute die Behutsamkeit des Archäologen vorherrsche: die Grundmauern und Strukturen zu erhalten und nutzbar zu machen, von dem, was noch stehen geblieben ist, nach den aufeinanderfolgenden Szenenwechseln, die sich während der letzten Jahrzehnte angehäuft haben“.

 Das Kuba zu Beginn des Jahrtausends ist weiterhin ein postmodernes und diese Ausstellung ist es auch. Ihre Werke verraten unsere soziale und kulturelle Hybridität, unsere Pluralität – ungeachtet des politischen Anscheins –, unseren vereinnahmenden Populismus, die Enthierarchisierung vieler der Werte und Vorhaben, die im Umkreis von Revolution, Einheit, Patriotismus und des Kubanischen allgemein konzipiert wurden, unser natürliches Zusammenleben auf sehr unterschiedlichen Zeit- und Raumebenen gleichzeitig, unser Verlangen nach allem was von draußen kommt, unser peripheres Bewusstsein, aber auch unser Stolz und unsere Fähigkeit von Zeit zu Zeit mit den Machtzentren zu kokettieren und sie zu verzaubern.

 Diese Ausstellung hat sich aus der Reise und der Zwischenlandung heraus artikuliert, daher auch ihr Titel: Gulliver. Wie die klassische Märchenfigur, dem Vorreiter der Reiseversessenheit und der Mobilität, unter der die gegenwärtige Gesellschaft heute leidet. Und der übrigens keineswegs naiv war, in seinem Drang die Missstände der Gesellschaft zu kritisieren, der er angehörte, und die vermeintliche Wichtigkeit zu relativieren, welche die Menschen vielen Dingen beimessen.