Mind the gap / Vici Hohmann
Exhibition // November 9th - 11th, 2012
über die Ausstellung
Wenn wir in der U-Bahn auf den Zug warten, ist klar: es gibt kein Vorwärtskommen ohne den Schritt vom Bahnsteig in die Bahn zu tun. Kein Schritt, den wir als Wagnis empfinden in unserem täglichen Trott. Ich empfinde es als wichtig, hinzuschauen und diese blind vertraute Lücke zu betrachten - die blind vertrauten Lücken an sich zu betrachten. Denn Lücken haben ihre Tücken. Das gilt nicht nur für die Lücke zwischen Bahnsteig und Wagon. Es gilt für alle Lücken, die unser Alltag unsichtbar wischt. Denn ihre Unsichtbarkeit bedeutet nicht ihr Verschwinden – im Gegenteil. Lücken mutieren abseits des bewussten Blickfelds gern zu Gräben. Zu Schützengräben. Zu menschlichen Abgründen. Zur Kluft zwischen Arm und Reich, Recht und Unrecht, Verständnis und Verachtung. Darum ist es wichtig den Blick auf die Lücken zu lenken – was ich hier anhand einiger Arbeiten versuche. Manchmal plakativ, manchmal diskret.
In allen Bereichen des Lebens wimmelt es von Lücken. Jede Lücke birgt nicht nur ihre eigenartige Tücke, sondern auch ihre Chance und ihren Charme. Lücken gilt es nicht unbedingt zu schließen. Auch der Mut zur Lücke zählt. In den Lücken entstehen aus dem bis in den letzten Winkel angefüllten Nichts Wahrscheinlichkeiten und Unwahrscheinlichkeiten. Dort bieten sich Realitäten an, die ins Leben gerufen werden können. Wir stehen den Lücken nicht ohnmächtig gegenüber, sondern mit unserer beflügelnden Phantasie. Wir müssen uns nur ihrer bewusst werden. - Beider.
- Und dem allumfassenden Humor. Humor ist für mich die Kraft, die bewusst erfahrene Lücken uns lehren. Nicht zuletzt um das Selbständige Denken anzustacheln. Das Denken, das weit über und hinter das gewöhnlich als „Denken“ bezeichnende Denken hinaus reicht.
Das Hintergründige erscheint gern oberflächlich. Komisch.
Logisch. Paradox. - Hauptsache mündig. Und es mündet ja sowieso alles ins fruchtbare (richtig gelesen?) Meer und Mehr der Erkenntnis.
Unser „mind“, unser „Geist“, „das Leben“ ist ein Lückenreich. Auf das Wesentliche stoßen wir oft dank Lücken. Auch wenn das manchmal weh tut. Jedes Leben erscheint anfänglich als Leerstelle, als lebenslängliche Lehrstelle sowieso – manchmal auch als Lehrstuhl (zumindest zeitweise).
Die Ewigkeit selbst bietet vermutlich verrückteste Lücken – wenn wir uns nicht mehr auf die bisher angeordneten Raum-Zeit-Scheuklappen und die wenigen entschlüsselten Gesetzmäßigkeiten (letzteres Wort lasse man sich auf der Zunge zergehen) selbst begrenzen.
- Abschließend behaupte ich aufgeschlossen: im Grunde ist alles eine Lücke. Daher der Titel der Ausstellung. Weil die Kunst zu begrenzen meiner Meinung nach nur ein Widerspruch in sich selbst ist. Kunst begrenzen, bedeutet die Ewigkeit begrenzen. Wenn dennoch begrenzt - eine sinnlose Maßnahme stofffremder Aufschneider. Weil Punkt und Linie auf einen Punkt zu bringen oder der Reihe nach aufzufädeln kann schließlich – nach allen getragenen Kreuzen – sowieso nur in Gelächter gipfeln. Da Alles sowieso nichts weiter ist, als es ist (so der Philosoph Long Chen Pa) – aber (so sei hinzugefügt)auch nicht weniger.
über meine Arbeiten an sich
Meine Arbeiten entstehen spielerisch, spontan und assoziativ. Wort und Bild greifen ineinander – um Lücken zu schließen und neue aufzutun. Wobei die an sich unleugbare Lücke zwischen Bild und Wort mit Humor angereichert ist. Humor ist für mich das innerste Wesen kreativer Kraft. Humorlose Kunst ist für mich gestalterischer Ausdruck, aber keine Kunst. Kunst wohnt für mich immer etwas Humorvolles inne, ob ein Lachen, ein Augenzwinkern oder bitterster Sarkasmus. Weil Kunst für mich aus dem allumfassenden Humor
entspringt. Je kindlicher, je spielerischer und unmittelbarer sie ist, desto reiner wird ihre Authentizität. Künstlerischer Ausdruck bewegt sich an der Grenze von Sichtbarem und Unsichtbarem. Idee und Ursprüngliches authentisch von Unsichtbarem in Sichtbares zu verwandeln, ist künstlerische Tätigkeit.
Der Kunst-Schaffende beschäftigt sich meiner Meinung daher permanent (bewusster und unbewusster) mit einer fundamentalen „Lücke“. Der Lücke zwischen Sichtbarem und Unsichtbarem. Zwischen Geist und Materie. (Um es unzulänglich mit heute gebräuchlichen Begriffen zu umschreiben).
Zwischen – ja zwischen was eigentlich? Und: existiert dieses „Dazwischen“ tatsächlich oder nur Kraft unserer Vorstellung von der Welt und ihrer heute angenommenen Funktionsweise? Fragezeichen. Köpfe rauchen.
Für mich ist zumindest eins definitiv: dass Lücken Spannungen erzeugen. Die Spannung zwischen Wort und Bild. Zwischen Farbe und Leinwand. Die größte Spannung entsteht sicherlich durch die „Lücke“ zwischen Leben und Tod. Die Spannung zwischen Vergänglichem und Unvergänglichem. Darum arbeite ich gerne mit vergänglichen und unvergänglichen Materialien. Erde, getrocknete Pflanzenteile und Pappe setzte ich in Kontrast zu Plastik. Plastik und Erde – beides für mich metaphorische Essenz unserer heutigen „sozialen Plastik“ und optisch ästhetischer Kontrapunkt an sich.
von Vici Hohmann